Management Summary:

Die steigende Anzahl von Tech-Unternehmen, die zunehmende Technisierung und Automatisierung der Finanzmärkte, wirtschaftliche und allen voran politische Verwerfungen fordert sogar selbst einige der weltbesten Investoren wie Warren Buffett heraus, ihre Grundannahmen für erfolgreiche Beteiligungsinvestitionen erneut wieder auf den Prüfstand zu stellen.

Lesen Sie hier exklusiv über die Evolutionsstufen des Value Investing von Value 1.0 bis Value 3.0, von Ben Graham bis Warren Buffett und den neuesten Ansätzen des Value Investing Programms, der als die Value Investoren Kaderschmiede überhaupt geltenden Columbia Business School (New York/USA). Erfahren Sie wie, sich erfolgreiche Value Investoren heute und in Zukunft auf die neuen Werttreiber des Value Investing einstellen. Warum? Nicht Buffett mit seinem mehr als 50 Mrd. USD schweren Investment in eines der von ihm einst gemiedenen Tech-Unternehmen hat sich verändert. Die Welt hat sich verändert!

Auf der Suche nach fundierten Antworten lohnt sich eine Rückbesinnung darauf, was Value Investing eigentlich ist, wie es sich bis heute entwickelt hat und welche Erfolgsgeschichten die Methode des Value Investing auch in Zukunft auf Basis welcher Wertreiber schreiben kann.

Die erste Frage lässt sich leicht beantworten: Value Investoren suchen nach wie vor unterbewertete Aktien, wobei der Fokus auf dem Verhältnis von dem Preis einer Aktie zu ihrem intrinsischen Wert liegt, was uns als Value Investoren von anderen Investoren unterscheidet.

Für die zweite Frage habe ich mich in das Executive Value Investing Programm der berühmten Columbia Universität in New York City (USA) eingeschrieben. Die Columbia gilt als Wiege des Value Investing unter ihrem Begründer Benjamin Graham, der einst dort studiert und auch später als Dozent Studenten wie Warren Buffett unterrichtet hat.

Bild: Das Portal der Low Library der Columbia University mit der Göttin Athena (Alma Mater)

Value Investing 1.0 – Benjamin Graham

Es begann alles im Jahr 1914, als Benjamin Graham als Zweitbester seines Jahrgangs an der Columbia Universität sein Examen gemacht hatte. Aktienwerte mit harten Assets wie Anaconda Copper und National Lead waren die bevorzugten Titel. Konsumentenmarketing war noch in den Kinderschuhen, entsprechende Marken gab es noch nicht. Die entscheidende Frage für Graham war, was die Firma wohl wert wäre, wenn man diese liquidieren würde – also die Vermögensgegenstände verkaufen und gleichzeitig die Verbindlichkeiten begleichen würde. Graham orientiert sich an der Substanz eines Unternehmens. Für Graham sind dies vor allem die Vermögensgegenstände des Umlaufvermögens (Forderungen, Kassenbestand, Vorräte).

Die puristischste Form des Graham-Investing nach dem Net-Net-Prinzip würde bedeuten, dass man die Aktien eines Unternehmens dann erwirbt, wenn man weniger bezahlt, als das Umlaufvermögen abzüglich aller lang- und kurzfristigen Schulden wert ist. Das wäre ein extrem günstiger Einstandspreis. Nach einer etwas weniger streng gefassten Version würde man Aktien eines Unternehmens immer dann kaufen, wenn die Aktien billiger zu haben sind als das Gesamtvermögen (also auch langfristige Vermögensgegenstände) minus aller Schulden.
Die Differenz zwischen dem Preis eines Investments in eine Aktie und seinem tatsächlichen (inneren) Wert einer Firma, bezeichnete Graham als „Margin of Safety“.

Mit dieser Methode war die Grundlage für die fundamentale Aktienanalyse und damit dem Value Investing gelegt. Der Fokus lag auf materielle und „greifbare“ Aspekte eines Geschäftsmodells, also auf Vermögensgegenstände wie die Schmelzöfen, die Schmieden und die Vorräte zur Zeit der Industrialisierung sowie deren Bewertung. Graham war nie daran interessiert, was für Produkte eine Firma eigentlich machte, nur die abstrakten, quantitativen Wertdifferenzen waren für ihn entscheidend.

Als einer seiner Schüler, der später auch legendäre Value Investor Walter Schloss ihn einst auf Haloid, dem Vorläufer der später so erfolgreichen Xerox Büromaschinen angesprochen hat, soll er zu ihm NEIN gesagt haben:

„Walter“, he said, the stock is just not cheap enough.“

Die heutigen Value Investoren sind sich einig – Ben Grahams Erfolgsformel funktionierte zwar nach der Weltwirtschaftskrise und nach dem 2. Weltkrieg noch sehr gut, würde heute aber durch die Professionalisierung der Marktteilnehmer (höhere Markttransparenz, computergestützte „Screener“, Künstliche Intelligenz und ihren Algorithmen) unter Normalbedingungen kaum noch funktionieren.

Bild: Rodin’s „Der Denker“ vor der philosophischen Fakultät der Columbia

Value Investing 2.0 – Warren Buffett

Einer der Schüler von Graham – der inzwischen an der Columbia in New York lehrte – war auch Warren Buffett, ein junger Mann aus Omaha. Nach dem Studienabschluss arbeitete Buffett für Graham bevor es ihn dann wieder von New York in seine Heimatstadt Omaha zog. Warren Buffett realisierte schnell, dass die Wirtschaft Anfang der 50er Jahre eine ganz andere war als die Graham in seinen Anfangsjahren noch um die Jahrhundertwende zu Beginn der Industrialisierung vorfand. Die Haupttreiber für die Unternehmenswerte hatten nur noch wenig mit den einzelnen „greifbaren“, materiellen Vermögensgegenständen wie Maschinen und schweren Anlagen zu tun.

Ein Unternehmenswert bildete sich bei einer Firma wie Coca-Cola vielmehr aus den immateriellen Vermögensgegenständen wie der Marke und der Vertrautheit und Loyalität der Kunden zu dieser Marke. Diese emotionalen Bindungen – gestützt durch Werbekampagnen insbesondere durch das aufkommende Fernsehmedium – erlaubten es den gutgehenden Unternehmen relativ hohe Preise für vergleichbar einfache Produkte nehmen zu können.

Diese Markenriesen machten sich Skalenvorteile in anderer, aber mindestens genauso effektiver Weise zunutze, wie sich die großen industriellen Hersteller bei der Massenfertigung die niedrigeren Stückkostenvorteile zunutze gemacht haben. Ein markführendes Shampoo wurde von P & G über vier verschiedene Fernsehender mit mehr Werbung beworben als das Shampoo der Konkurrenz und das zu relativ zum Umsatz gesehen niedrigeren Marketingbudgets als die Konkurrenz hätte aufbringen müssen. Dies löste eine neue Ära von sehr dominanten Markenartiklern aus und führte oft zu einem ruinösen Wettbewerb bei der Konkurrenz.

Mit der Hilfe von Charlie Munger lernte Buffett sehr schnell in dieses „Ecosystem“ von Markenherstellern, Fernsehsendern und Werbeunternehmen erfolgreich z.B. in Unternehmen wie Coca-Cola zu investieren. Auch wenn Buffett immer noch teilweise in Value 1.0 Unternehmen investierte, verstand er schon in 1967 sehr schnell, dass das große Geld mit Investments in diese Ecosysteme zu machen war:

„Although I consider myself to be primarily in the quantitative school, the really sensational ideas I have had over the years have been heavily weighted toward the qualitative side, where I had a “high probability insight.” This is what causes the cash register really to sing.” Warren Buffett

Es war die Geburtsstunde von Value 2.0 – Motto: Finde ein außergewöhnlich gutes Unternehmen und zahle einen vernünftigen Preis dafür. Die „Margin of Safety“ bildet sich nicht ausschließlich aus der Differenz zwischen dem Preis eines Investments und seinem tatsächlichen inneren Wert der materiellen Vermögensgegenstände einer Firma, sondern bezieht auch die Nachhaltigkeit eines Geschäftsmodells in die Bewertung mit ein. Der Schlüssel für die Bewertung der Nachhaltigkeit eines Geschäftsmodells bildet das sog. „High Probability Insight“, also das, was das Unternehmen so dominant in seiner Branche und so stabil für die Zukunft macht, dass man nicht nur hohe „Multiples“ auf Basis der momentanen Gewinne, sondern auch auf die zukünftigen Gewinne zahlt. Buffett nennt solche Unternehmen in der Folge auch „Franchises“, also Unternehmen, die einen Markt für sich „gepachtet“ haben und erklärt das näher wie folgt:

“If you got the right kind of product, you may be paying for taste, you may be paying for a mental association that you have, or service availability. That’s franchise value, then the question is how durable and big is it? I’d say that franchise is basically like a moat around your economic castle.” Warren Buffett

Das Wort „Moat“ (Burggraben) beschreibt nach dem o.g. und zitierten Brief an die Aktionäre von Berkshire Hathaway im Jahre 1991 denselben Sachverhalt und wird heutzutage häufiger von Analysten bei Morningstar et al. verwendet. Anders als bei Value 1.0 nach Graham ist Buffett mit Value 2.0 bereit, für Unternehmensqualität mehr zu bezahlen, wenn die langfristigen Wachstumsperspektiven auch nachhaltig, weil u.a. durch einen „Moat“ abgesichert sind.

„To discover franchises is somewhat difficult. It might look easy, but why should something look easy, if it makes you rich only a view times in your life?” Charlie Munger

Damals galt dieser Ansatz als revolutionär – für Buffett war es einfache Mathematik. Je sicherer die Gewinne in der Zukunft sind, desto höher der Preis den man heute bereit ist für eine Aktie zu bezahlen. Dies erklärt auch, warum Warren Buffett sich für Jahrzehnte Technologieaktien gegenüber verschlossen hat. Es gab zwar unzweifelhaft Wachstumsperspektiven für Technologieunternehmen, aber es gab wenig Sicherheit. Die Dinge veränderten sich zu schnell, jedem Aufschwung folgte ein Kollaps, wer hätte darin ein „High Probability Insight“ mit einem „Franchise“ oder einen „Moat“ sehen können. 1997, also 30 Jahre später schrieb Buffett einem Freund, der ihm den Einstieg bei Microsoft empfohlen hatte:

„Although it appeared that the company had a long runway of protected growth, to calibrate whether my certainty is 80%, or 55%…for a 20-year run wd. be folly.
Warren Buffett

Value Investing 3.0 – Warren Buffet “reloaded”

Heutzutage ist Apple – ein anderer Tech Riese – mit ca. 50 Mrd. USD an Wert (Einstieg in 2016) das größte Investment in Warren Buffetts Berkshire Hathaway Portfolio. Warum? Nicht weil Buffett sich verändert hat, sondern weil sich die Welt verändert hat. Noch 10 Jahre zuvor, waren die vier größten Unternehmen (nach Marktkapitalisierung) Exxon Mobil, PetroChina, General Electric und Gazprom, also drei Energieunternehmen und ein Industriekonglomerat. In 2018 sind die vier größten Unternehmen (nach Marktkapitalisierung) Apple, Amazon, Microsoft und Alphabet. Diese Unternehmen haben – anders als einfache Halbleiter-Hersteller – sehr viel Gemeinsamkeiten mit den langlebigen, beherrschenden „Consumer Franchises“ der Nachkriegszeit.

Als „Consumer Franchises“ bezeichnet man Unternehmen, deren Produkte und Dienstleistungen tief in das tägliche Leben von Milliarden von Konsumenten eingewoben sind. Dank des täglichen Gebrauchs und der altmodisch anklingenden menschlichen Gewohnheiten, wird sich „das Verweben“ in das tägliche Leben der Konsumenten über die Zeit nur noch mehr vertiefen.

„I didn’t go into Apple because it was a tech stock in the least. I went into Apple because …of the value of their ecosystem and how permanent that ecosystem could be.” Warren Buffett

Was steckt dahinter? Warren Buffet hat seine eigenen Thesen quasi auf den Kopf gestellt und auf der diesjährigen Hauptversammlung von Berkshire Hathaway verkündet, dass sich die Welt wohl auf neue Realitäten einstellen müsse. Die vorher so unbeliebten Tech Unternehmen werden nicht nur langfristig am Markt bleiben, sondern verfügen derzeit zudem über einen immensen Wert. Die vier größten Unternehmen in Bezug auf Marktkapitalisierung kommen heutzutage ganz ohne „greifbare Sachwerte“ und Investitionen in Maschinen und Immobilien aus, so Buffett. Diese Unternehmen brauchen nicht wie eine AT&T, GM oder Exxon Mobile milliardenschwere Investitionen um Gewinne abzuwerfen. Wir sind auf dem Weg zu einer „asset-light“ Wirtschaft wurde von Buffett weiter ausgeführt und das man bereut nicht frühzeitiger bei Google (Alphabet) eingestiegen zu sein.

Während die Wirtschaft der Nachkriegszeit noch von auf Skalierung ausgerichtete Markenartiklern getrieben war, wird die Wirtschaft zu Beginn des 21. Jahrhundert zunehmend von sog. digitalen Plattformen getrieben. Wie die Markenunternehmen vorher verfügen die digitalen Plattformen über dieselbe Präsenz und Durchsetzungswahrscheinlichkeit, um die nächste Basis für auf längeren Zeit angelegte Value Investments zu sein. Digitale Geschäftsmodelle profitieren von nicht bilanzierten, immateriellen Vermögensgegenständen, wie den sog. Netzwerkeffekten: die Tendenz Konsumenten auf einer einzigen Plattform standardisieren zu können, was Konsumentenpräferenzen und den Wert der Plattform gleichermaßen positiv beeinflusst. Weil das so ist, absorbieren die Plattformen die Marktanteile der Markenriesen – kombiniert man das mit der Tatsache, dass diese Plattformen auf leicht skalierbare Software basieren und dazu noch relativ wenig Kapitalbedarf haben („asset-light“), hat man Value 3.0 – Geschäftsmodelle die radikal neu und extrem wertvoll sind. In der Vergangenheit brauchte man enorm viel Kapital um ein Geschäftsmodell global skalieren zu können.

Beispiel Alphabet: Es begann mit einem Suchdienst, einem klassischen Marktplatz, auf dem Konsumenten nach Produkten und Dienstleistungen suchen, gepaart werden mit Werbern, die versuchen genau diese Konsumenten zu erreichen. Google hat sich aufgrund seines einzigartigen Suchalgorithmus – heute laufen heute > 90% aller Suchen im Internet über Google – einen frühen Wettbewerbsvorteil erarbeitet. Mittlerweile kann Alphabet mit dem jährlichen 20 Mrd. USD Cashflow der „asset-light“ Google Plattform nicht nur in das eigene Wachstum, sondern auch in neue Geschäftsmodelle wie YouTube, Android und Waymo reinvestieren. Da Google heutzutage dank seiner Technologie in der Lage ist Konsumenten individuell auf ihre Bedürfnisse anzusprechen („cookies“ lassen grüssen), wird Werbung über das klassische Fernsehmedium Ecosystem – mit riesigen Streuverlusten – mehr und mehr disfunktional. Dies wiederum hat Konsequenzen für die Medien- und Markenriesen in ihrem einst so erfolgreichen Ecosystem gleichermaßen. 30% der Werbebudgets weltweit fliessen in das Internet – da ist noch viel Luft nach oben für Google. Es ist spätestens jetzt an der Zeit die Annahmen für sein Value 2.0 Portfolio dahingehend erneut zu hinterfragen.

Auch Ecosysteme wie Apple erfüllen die Kundenpräferenzen mit neuester Hardware- und Softwaretechnologie und einer unbegrenzten, friktionslosen Auswahl (iPhone, iPad, iPods, iMacs etc.) im Bereich „Consumer Electronics“. Mit dem Volumenwachstum, der Preismacht und den Kostenvorteilen hat Apple, wie die Markenriesen von einst nicht nur enormen Erfolg, sondern diesen auch noch technologisch mit dem nutzerfreundlichen Betriebssystem iOS (immaterieller Vermögensgegenstand) zementiert und damit die Wechselbarrieren zu Wettbewerbsprodukten erhöht.

Man stellt sich heute daher als Value Investor zu Recht die Frage, was heute im Vergleich der faire Preis für ein normales „Consumer Franchise“ von einst ist? Nach den renommierten Professoren Bruce Greenwald und Tano Santos von der Columbia müssen insbesondere zwei Dinge zusammenkommen, damit ein „Franchise“ oder ein „Moat“ besteht: Erstens stabile Kundenpräferenzen, Wechselbarrieren oder andere Wettbewerbsvorteile sowie zweitens Größen- und Kostenvorteile. „Consumer Electronics“ wie sie Apple heute anbietet, stellen auf jeden Fall ein neues, technologiebasiertes „Consumer Franchise“ mit einem „Moat“ für einen Value Investor 3.0 wie Warren Buffett dar.

Bild: Prof. Dr. Tano Santos (Columbia) und Dr. Jürgen Bruns (rechts)

Fazit:
Erfolgreiche Value Investoren wie Warren Buffett mit einem fast 70-jährigen Track-Record haben sich bei dem Übergang von Value 1.0 auf 2.0 schon einmal auf Umbrüche zur rechten Zeit eingestellt und sind gerade dabei sich beim Übergang von Value 2.0 auf 3.0 entsprechend mit ihrem Portfolio zu positionieren. Nicht die Methode des Value Investing hat sich verändert, sondern die Werthebel für die Value Unternehmen von morgen, weil sich die Welt verändert. Entscheidend für erfolgreiches Value Investing in Zukunft wird es sein, die Funktionsweise und Bedeutung der neuen Ecosysteme qualitativ zu verstehen und quantitativ bewerten zu können und die Annahmen für sein bestehendes Portfolio dahingehend permanent neu zu hinterfragen.

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